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Vollziehung einer einstweiligen Verfügung, wenn beide Parteien Rechtsanwälte sind

Rechtsanwalt Tarek Alexander Issa • Okt. 22, 2018
1. Zusammenfassung

Das LG Berlin hat mit Urteil vom 12.06.2018 (Az. 103 O 82/17) eine von einer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH als Antragstellerin gegen einen anderen Rechtsanwalt als Antragsgegner erwirkte einstweilige Verfügung nach dessen Widerspruch aufgehoben und ihren Erlass zurückgewiesen. Nach Ansicht der Antragstellerin hatte der Antragsgegner mit einem Rundschreiben an Kapitalanleger gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen. Das LG Berlin hob die einstweilige Verfügung nach dem Widerspruch des Antragsgegners auf, weil diese bereits nicht ordnungsgemäß innerhalb der Vollziehungsfrist zugestellt worden sei: Obwohl auch der Antragsgegner selbst als Rechtsanwalt zugelassen ist, hätte die einstweilige Verfügung nicht an ihn persönlich „von Anwalt zu Anwalt“, sondern zwingend an die zuvor von ihm zur Verfahrensführung bevollmächtigten Rechtsanwälte zugestellt werden müssen.

2. Sachverhalt und Begründung des LG Berlin

Die Parteien streiten um die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit eines anwaltlichen Rundschreibens des Antragsgegners im Bereich des Kapitalmarktrechts.

Der Antragsgegner hatte als Rechtsanwalt ein Rundschreiben an die Gesellschafter einer GmbH & Co KG versendet, in dem er den Gesellschaftern mitteilte, dass er von einem Mitgesellschafter beauftragt worden sei, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Die Antragstellerin ist der Ansicht, der Antragsgegner habe mit der Versendung des Rundschreibens gegen § 3a UWG i.V.m. §§ 4, 28 BDSG a. F. verstoßen. Die Antragstellerin mahnte den Antragsgegner daraufhin vorgerichtlich ab und verlangte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung.

Der Antragsgegner hatte nach Erhalt der vorgerichtlichen Abmahnung durch die Antragstellerin eine Rechtsanwaltskanzlei mit seiner Vertretung beauftragt. Die Rechtsanwälte des Antragsgegners zeigten ihre Vertretung unter Berufung auf eine beigefügte Vollmachtsurkunde an und wiesen die geltend gemachten Ansprüche zurück. Die vom Antragsgegner unterzeichnete Vollmachtsurkunde war dabei im Betreff mit „Rechtsanwalt... ./. ...Rechtsanwaltsgesellschaft mbH wegen angeblichem Wettbewerbsverstoß“ bezeichnet und wies in einer Aufzählung unter Nr. 2 die Bevollmächtigung zur Entgegennahme von Zustellungen aus. Gemäß Nr. 10 der Aufzählung erstreckte sich die Vollmacht zudem ausdrücklich auch auf mögliche Arrest- und einstweilige Verfügungsverfahren.

Die Antragstellerin erwirkte sodann gegen den Antragsgegner eine einstweilige Verfügung vor dem LG Berlin. Diese einstweilige Verfügung versandte die Antragstellerin per Einwurfeinschreiben gegen anwaltliches Empfangsbekenntnis an den Antragsgegner in Person. Das Empfangsbekenntnis hat der Antragsgegner nicht zurückgesandt. Nach einer Akteneinsichtnahme hat der Antragsgegner, vertreten durch seine Verfahrensbevollmächtigten, Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung erhoben. In dem Widerspruch machte der Antragsgegner geltend, dass die einstweilige Verfügung nicht ordnungsgemäß vollzogen worden sei und dass er auch keinen Wettbewerbsverstoß begangen habe.

Das LG Berlin führt in seiner Entscheidung aus, dass die einstweilige Verfügung hier nicht gemäß § 929 Abs. 2, 936 ZPO wirksam vollzogen worden und deswegen aufzuheben sei. Die einstweilige Verfügung hätte hier durch Zustellung innerhalb der Vollziehungsfrist an die vom Antragsgegner bevollmächtigten Rechtsanwälte vollzogen werden müssen, denn die notwendige Zustellung der einstweiligen Verfügung habe gemäß § 172 ZPO an den bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen.

Zwar könne sich ein Rechtsanwalt gemäß § 78 Abs. 4 ZPO in einem Zivilprozess selbst vertreten. Eine Zustellung an den Antragsgegner von Anwalt zu Anwalt nach § 195 ZPO komme jedoch im vorliegenden Fall nicht in Betracht, weil der Antragsgegner sich hier gerade nicht selbst vertreten habe, sondern er von seinen verfahrensbevollmächtigten Anwälten vertreten worden sei. Die von den Anwälten des Antragsgegners außergerichtlich vorgelegte Vollmacht habe sich ausdrücklich und umfassend auch auf die gerichtliche Tätigkeit erstreckt und werde durch den im Betreff genannten Vollmachtszweck nicht auf die vorgerichtliche Anspruchsabwehr beschränkt, sodass von einer Zustellungsvollmacht gemäß § 172 ZPO auszugehen war.

3. Fazit

Die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung erfolgt grundsätzlich im Parteibetrieb und birgt somit für den Antragsteller, der die Zustellung veranlassen muss, erhebliche rechtliche Risiken. Es ist insbesondere auch stets genau zu prüfen, ob die einstweilige Verfügung an die Partei selbst oder einen möglichen Verfahrensbevollmächtigten zuzustellen ist. Hierbei sind gegebenenfalls auch der Inhalt und der Umfang einer außergerichtlich vorgelegten anwaltlichen Vollmacht zu berücksichtigen.
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